Rundgang5
In die Mitte der Kirche haben ihre Erbauer die Kanzel gerückt...



...und an der Kanzel sind zwei Putten zu sehen und drei an zentraler Stelle angebrachte Bildtafeln.
Die Blumengirlanden und die Bildtafeln zeigen rokokohaft-verspielte Züge der Architektur, die geschwungenen Linien an Kanzel und Barock sind stilistisch dem Spätbarock zuzurechnen.



Die Bildtafeln mit geschnitzten Motiven und jeweils einer lateinischen Unterschrift lassen ein nahezu idyllisches Naturbild entstehen, dem allerdings eine ausgefeilte künstlerische und theologische Konzeption zugrunde liegt.
Das linke Bild zeigt einen weiten Himmel mit einer im Hintergrund leuchtenden goldenen Sonne und einigen Wölkchen. Im Gras, ein großer Vogel, der majestätisch mit den Flügeln schlägt und seinen Hals in die Luft reckt. Wie eine Illustration zur Schöpfungsgeschichte wirkt diese Bildtafel. Darunter die lateinischen Worte „mortuus ut revisisset“, „gestorben, damit er wieder auferstünde“. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Vogel und der Bildunterschrift? Darüber wurde verschiedentlich gerätselt. Der Phönix (erwähnt in Psalm 104, 17) verbrennt sich der ägyptischen Mythologie nach selber auf einem Opferaltar und erwacht nach drei Tagen aus der Asche zu neuem Leben. Die christliche Kunst verstand den Phönix häufig als ein Christussymbol, von dem Paulus sagt, dass Christus gestorben und am dritten Tag auferstanden ist (1. Kor. 15). | Die mittlere Bildtafel zeigt einen Baum und einen Menschen, der mit einem Spaten emsig um ihn gräbt. Bedenkt man, dass im die Menschen in Neukirchen im 18. Jahrhundert vor allem vom Obstbau lebten, so werden sie in dem Baum und den Naturbildern zunächst ihren Lebensalltag wieder erkannt haben. Zugleich wird an das biblische Gleichnis vom Feigenbaum erinnert (Lukas 13, 6ff.). Dieser Baum bringt keine Frucht. Darum will ihn sein Besitzer abholzen. Der Gärtner allerdings bittet für ihn: Lass ihn noch ein Jahr, ich will um ihn graben und ihn düngen. Die lateinische Bildunterschrift enthält eine Deutung des Gleichnisses: „ut debilitati subveniat“, „damit er der Schwachheit zur Hilfe komme“. Im Gleichnis ist es der Gärtner, der dem Baum hilft. An anderer Stelle der Bibel, im Römerbrief, ist es der Geist Gottes, der Heilige Geist, von dem gesagt wird, dass er der Schwachheit zur Hilfe eile. Die Vielzahl der in dem Bild anklingenden Motive ist gewollt und manch ein Betrachter hat in dem Gesicht des Gärtners die Gesichtszüge des älteren Martin Luthers, wie ihn Lucas Cranach darstellt, wieder entdeckt. | Die dritte Tafel zeigt eine Taube, die hoch in der Luft durch Wolkenfelder fliegt. Nichts scheint sie von ihrem Kurs abbringen zu können. „Non ideo recedit“, „er oder sie weicht nicht zurück“ haben die Erbauer unter das Bild geschrieben. Noah lässt nach dem Ende der Sintflut eine Taube fliegen, die die Bewohnbarkeit der Erde erkunden soll. (1. Mose 8, 11). Wer weicht nicht zurück? Im Buch Josua verspricht Gott: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.“ (Josua 1,5). Erinnerte die mittlere Bildtafel an den Heiligen Geist, der unserer Schwachheit zur Hilfe kommt, die linke Tafel an Christus, gestorben und nach drei Tagen wieder auferstanden, so erinnert diese letzte Bildtafel an Gott, der uns nicht verlässt und nicht zurückweicht. Hinter den drei auf den ersten Blick idyllisch wirkenden Bildern wird das Bekenntnis zum trinitarischen Gott, wie es allsonntäglich im Glaubensbekenntnis gesprochen wird, sichtbar. Hier ist eine künstlerische Konzeption zu erkennen – auch als „Sturm und Drang“ bezeichnet – die uns darauf hinweist, dass das Wesentliche hinter den Dingen liegt und sich dem bloßen Verstand oft entzieht. |